20110924

ZWISCHEN SCHEIN UND SEIN

(Jannis Papadimitriou, drawn by Portugese cartoonist Pimentel)

Auch nach der Zustimmung zum neuen Hilfspaket steht weiterhin zu befürchten, dass die griechische Regierung einen Rückzieher macht, kommentiert Jannis Papadimitriou. Doch auch wenn Athen weiterhin mit radikaler Rhetorik auftritt, sei die EU gut beraten, Griechenland mit Toleranz zu begegnen. 

Es kommt, wie es kommen muss: Unter dem sanften Druck der Europäischen Zentralbank macht der radikale Linkspolitiker Alexis Tsipras einen Rückzieher und akzeptiert die Verlängerung der Finanzhilfen für Griechenland - samt Sparauflagen und Kontrolle durch die Geldgeber. Begibt er sich damit in die Fußstapfen seines Vorgängers, des Konservativen-Chefs Antonis Samaras? Das befürchten jedenfalls viele seiner Anhänger in Athen. Schon jetzt rebellieren führende Politiker der Linkspartei gegen die Grundsatzeinigung mit den Geldgebern. Elf Stunden lang hat die Parlamentsfraktion der Partei am Mittwoch über die Lage beraten und war nach der Krisensitzung nicht schlauer als zuvor. Die Stimmung der Zeit spiegelt eine Karikatur in der liberal-konservativen Zeitung Kathimerini wider. Sie zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Finanzminister Wolfgang Schäuble über die neuen Gepflogenheiten aufklärt: Die Troika heiße ab sofort "Die Institutionen" mahnt die Bundeskanzlerin. Und außerdem: "Die Verlängerung heißt nun ‛Brücke', das Memorandum der Sparpolitik nennt man ‛Vertrag' und Samaras heißt jetzt ‛Tsipras'..."

Während sich eingefleischte Links-Wähler in Athen über den vermutlichen Rückzieher des neuen Premiers ärgern, befürchten viele in Berlin genau das Gegenteil: dass Tsipras seine Wahlversprechen doch noch umsetzt - und zwar ohne Rücksprache mit den EU-Partnern. Die eine oder andere Äußerung aus Athen scheint diese Befürchtung zu bestätigen. Dabei sollte man aber den Unterschied zwischen Sein und Schein in der griechischen Politik nicht unterschätzen. Ein Abstecher in die jüngste Vergangenheit des Landes macht dies deutlich: Vor 34 Jahren gewann der damalige Sozialistenführer Andreas Papandreou die Parlamentswahlen mit einer radikalen Rhetorik, die weit über jedes normale Maß hinausging. "Raus aus der EG, raus aus der NATO" lautete sein Wahlslogan. Zudem sympathisierte er mit Russland und der arabischen Welt und forderte die Kündigung der Stützpunktverträge mit den USA. In seinen Wahlkundgebungen wurden die Amerikaner pauschal als "Mörder der Völker" bezeichnet.

Tsipras erinnert an Papandreou

Doch nur wenige Jahre später war Papandreou gezähmt durch die Sachzwänge des Regierens und die wirtschaftlichen Zusammenhänge in der Europäischen Gemeinschaft. 1988 erklärte er sogar ausdrücklich in einem Interview, er habe sich für den Verbleib in der EG entschieden, da ein Austritt noch viel größeren Schaden anrichten würde - ein Argument, das er sich von der britischen Labour Party abgeguckt hatte. Und auch die US-Militärstützpunkte in Griechenland durften bleiben. "Achtet nicht darauf, was er sagt. Achtet lieber darauf, was er tut" telegrafierte der damalige US-Botschafter in Athen, Monteagle Sterns, nach Washington - und bekam dadurch selbst Ärger mit seinen Vorgesetzten. Doch er sollte recht behalten.

Allein schon durch seine Rhetorik erinnert Links-Premier Alexis Tsipras ziemlich stark an den damaligen Sozialistenführer. Viele seiner Anhänger sind ehemalige Papandreou-Wähler. Das Problem ist nur: Anders als Papandreou stehen Tsipras nur wenig Zeit und Geld zur Verfügung, damit er seine politische Wende vollziehen und diese auch noch als Erfolg verkaufen kann. Immerhin hat er jetzt vier Monate Aufschub bekommen. Aber das dürfte kaum reichen. Spätestens im Herbst wird man in Brüssel und Berlin wohl wieder über Griechenland reden müssen. In diesem Fall wären die EU-Partner gut beraten, etwas mehr Toleranz gegenüber radikaler Rhetorik aus Athen an den Tag zu legen, so menschlich schwer dies auch sein mag.

Zur Tradition griechischer Politik gehört leider nämlich auch, dass man einen Rückzieher in der Sache durch blühende Rhetorik zu überdecken versucht. Einen Vorgeschmack hat der rechtspopulistische Verteidigungsminister und politische Weggefährte von Tsipras, Panos Kammenos, geliefert: Kaum war die Tinte unter der jüngsten Einigung mit den Geldgebern trocken, beantragte Kammenos einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der klären soll, wie es zum verhassten Sparprogramm für Griechenland kam - und wer die Verantwortung dafür trägt.

(Kommentar für das Deutschlandradio, Februar 2015- Σχόλιο για τον ραδιοφωνικό σταθμό  Deutschlandradio, Φεβρουάριος 2015)