Auch nach
der Zustimmung zum neuen Hilfspaket steht weiterhin zu befürchten, dass die
griechische Regierung einen Rückzieher macht, kommentiert Jannis Papadimitriou.
Doch auch wenn Athen weiterhin mit radikaler Rhetorik auftritt, sei die EU gut
beraten, Griechenland mit Toleranz zu begegnen.
Es kommt,
wie es kommen muss: Unter dem sanften Druck der Europäischen Zentralbank macht
der radikale Linkspolitiker Alexis Tsipras einen Rückzieher und akzeptiert die
Verlängerung der Finanzhilfen für Griechenland - samt Sparauflagen und
Kontrolle durch die Geldgeber. Begibt er sich damit in die Fußstapfen seines
Vorgängers, des Konservativen-Chefs Antonis Samaras? Das befürchten jedenfalls
viele seiner Anhänger in Athen. Schon jetzt rebellieren führende Politiker der
Linkspartei gegen die Grundsatzeinigung mit den Geldgebern. Elf Stunden lang
hat die Parlamentsfraktion der Partei am Mittwoch über die Lage beraten und war
nach der Krisensitzung nicht schlauer als zuvor. Die Stimmung der Zeit spiegelt
eine Karikatur in der liberal-konservativen Zeitung Kathimerini wider. Sie
zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Finanzminister Wolfgang Schäuble über
die neuen Gepflogenheiten aufklärt: Die Troika heiße ab sofort "Die
Institutionen" mahnt die Bundeskanzlerin. Und außerdem: "Die
Verlängerung heißt nun ‛Brücke', das Memorandum der Sparpolitik nennt man
‛Vertrag' und Samaras heißt jetzt ‛Tsipras'..."
Während sich
eingefleischte Links-Wähler in Athen über den vermutlichen Rückzieher des neuen
Premiers ärgern, befürchten viele in Berlin genau das Gegenteil: dass Tsipras
seine Wahlversprechen doch noch umsetzt - und zwar ohne Rücksprache mit den
EU-Partnern. Die eine oder andere Äußerung aus Athen scheint diese Befürchtung
zu bestätigen. Dabei sollte man aber den Unterschied zwischen Sein und Schein
in der griechischen Politik nicht unterschätzen. Ein Abstecher in die jüngste
Vergangenheit des Landes macht dies deutlich: Vor 34 Jahren gewann der damalige
Sozialistenführer Andreas Papandreou die Parlamentswahlen mit einer radikalen
Rhetorik, die weit über jedes normale Maß hinausging. "Raus aus der EG,
raus aus der NATO" lautete sein Wahlslogan. Zudem sympathisierte er mit
Russland und der arabischen Welt und forderte die Kündigung der
Stützpunktverträge mit den USA. In seinen Wahlkundgebungen wurden die
Amerikaner pauschal als "Mörder der Völker" bezeichnet.
Tsipras erinnert an Papandreou
Doch nur
wenige Jahre später war Papandreou gezähmt durch die Sachzwänge des Regierens
und die wirtschaftlichen Zusammenhänge in der Europäischen Gemeinschaft. 1988
erklärte er sogar ausdrücklich in einem Interview, er habe sich für den
Verbleib in der EG entschieden, da ein Austritt noch viel größeren Schaden
anrichten würde - ein Argument, das er sich von der britischen Labour Party
abgeguckt hatte. Und auch die US-Militärstützpunkte in Griechenland durften
bleiben. "Achtet nicht darauf, was er sagt. Achtet lieber darauf, was er
tut" telegrafierte der damalige US-Botschafter in Athen, Monteagle Sterns,
nach Washington - und bekam dadurch selbst Ärger mit seinen Vorgesetzten. Doch er
sollte recht behalten.
Allein schon
durch seine Rhetorik erinnert Links-Premier Alexis Tsipras ziemlich stark an
den damaligen Sozialistenführer. Viele seiner Anhänger sind ehemalige
Papandreou-Wähler. Das Problem ist nur: Anders als Papandreou stehen Tsipras
nur wenig Zeit und Geld zur Verfügung, damit er seine politische Wende
vollziehen und diese auch noch als Erfolg verkaufen kann. Immerhin hat er jetzt
vier Monate Aufschub bekommen. Aber das dürfte kaum reichen. Spätestens im
Herbst wird man in Brüssel und Berlin wohl wieder über Griechenland reden
müssen. In diesem Fall wären die EU-Partner gut beraten, etwas mehr Toleranz
gegenüber radikaler Rhetorik aus Athen an den Tag zu legen, so menschlich
schwer dies auch sein mag.
Zur
Tradition griechischer Politik gehört leider nämlich auch, dass man einen
Rückzieher in der Sache durch blühende Rhetorik zu überdecken versucht. Einen
Vorgeschmack hat der rechtspopulistische Verteidigungsminister und politische
Weggefährte von Tsipras, Panos Kammenos, geliefert: Kaum war die Tinte unter
der jüngsten Einigung mit den Geldgebern trocken, beantragte Kammenos einen
parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der klären soll, wie es zum
verhassten Sparprogramm für Griechenland kam - und wer die Verantwortung dafür
trägt.
(Kommentar für das Deutschlandradio, Februar 2015- Σχόλιο για τον ραδιοφωνικό σταθμό Deutschlandradio, Φεβρουάριος 2015)