(Reporting for the German newspaper "Tageszeitung")
Am 1. Januar 2014 übernimmt Griechenland für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Obwohl das Land mit der schwersten Wirtschaftskrise seiner jüngsten Geschichte kämpft, möchte man "ein ehrlicher Makler" sein.
Anfang Dezember hat der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras bei einem Treffen mit dem Präsidenten der EU-Kommission Jose Manuel Barroso einen Überblick über die geplanten Schwerpunkte seines Landes bis Juni 2014 gegeben: Athen will sich um das Wirtschaftswachstum und die soziale Kohäsion Europas, sowie um die Flüchtlingspolitik in der EU kümmern. Auch der Vollendung der Bankenunion will der griechische Regierungschef Priorität beimessen.
Was das Wachstum betrifft, will die Athener Koalitionsregierung aus Konservativen und Sozialisten mit gutem Beispiel vorangehen und die EU-Partner positiv überraschen: 2013 verzeichnet Griechenland zum ersten Mal seit zehn Jahren einen primären Haushaltsüberschuss, 2014 will das auf internationale Hilfen angewiesene Land angeblich die Rezession hinter sich lassen und auf den Wachstumspfad zurückkehren. Doch daran glauben nur die wenigsten in Europa; vereinzelt wird sogar die Frage gestellt, ob die Griechen mit dem EU-Vorsitz nicht überfordert wären angesichts der Wirtschaftslage im eigenen Land.
Imageaufpolierung
Trotz Krise werde Griechenland für eine gute Präsidentschaft sorgen und ergebnisorientiert arbeiten, glaubt Panagiotis Ioakeimidis, Professor für Europapolitik an der Universität Athen. Schließlich wollten die Griechen durch einen erfolgreichen EU-Ratsvorsitz ihr Image verbessern und Glaubwürdigkeit wiederherstellen. "Und das wird auch gelingen, davon bin ich überzeugt", versichert der Athener Professor.
Diese Zuversicht teilt auch die sozialistische Europa-Abgeordnete Sylvana Rapti, die als enge Vertraute des griechischen Außenministers Evangelos Venizelos gilt. Fast gereizt reagiert Rapti auf Zweifel an der Fähigkeit ihres Landes, die Präsidentschaft bewältigen zu können. "Derartige Zweifel werden aus Böswilligkeit geäußert", moniert die Politikerin. "Zum Vergleich: Auch Belgiens Ratsvorsitz (im Jahr 2010) musste gegen Bedenken kämpfen. Die Belgier hatten damals keine Regierung, doch sie haben eine gute Präsidentschaft hingelegt, ihre Krise hat das Europa-Geschäft nicht beeinträchtigt", gibt Rapti zu bedenken.
Hoffnung auf ein soziales Europa
Nach 1983, 1988, 1994 und 2003 übernimmt Athen zum fünften Mal den rotierenden Ratsvorsitz. Wie kaum ein anderes EU-Land hat sich Griechenland in der Vergangenheit für ein soziales Europa einsetzen wollen, dabei jedoch eher bescheidene Erfolge erzielen können. Bereits 1988 drängte der damalige griechische Regierungschef Andreas Papandreou auf eine Europäische Sozialcharta, die aber erst ein Jahr später unter französischem Vorsitz zustande kam. 1994 geriet die sozialpolitische Agenda Athens angesichts der stockenden Verhandlungen um die EU-Norderweiterung in den Hintergrund, 2003 wurde sie völlig überschattet von der Irak-Krise und der daraus resultierenden Spaltung Europas.
Im nächsten Jahr will sich die griechische EU-Präsidentschaft die soziale Kohäsion in Europa erneut auf die Fahne schreiben. Besonderes Augenmerk soll dabei auf Jugendbeschäftigungsprogramme und deren Finanzierung gerichtet werden. Diesmal könnte der große Wurf doch noch gelingen, glaubt die Europa-Politikerin Sylvana Rapti. Der Ruf nach einem sozialen Europa werde doch immer lauter, erläutert die ehemalige Journalistin. Diejenigen, die sich lange dagegen gestemmt hätten, würden zunehmend isoliert. Selbst in reichen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien sehnten sich die Menschen mittlerweile nach einem sozialen Europa, meint Rapti.
Die EU-Präsidentschaft als ehrlicher Makler
Indessen ist den Griechen auch bewusst, dass der turnusmäßige EU-Vorsitz in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren hat. Mit dem Reformvertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, wird der Europäische Rat nicht mehr durch den rotierenden Vorsitz, sondern von einem ständigen Präsidenten geführt, der für Kontinuität an der Spitze Europas sorgt. Daran erinnert auch Außenminister Venizelos in einem Interview mit dem Athener Wirtschaftsblatt Naftemporiki: Die rotierende Präsidentschaft habe mittlerweile nur noch beschränkte Kompetenzen.
Professor Ioakeimidis glaubt allerdings, dass der rotierende EU-Vorsitzende auch nach dem Vertrag von Lissabon durchaus Gestaltungsmöglichkeiten habe - etwa als ehrlicher Makler und als Scharnier im institutionellen Gefüge Europas, damit Kommission, Parlament und die nationalen Regierungen sich auf gemeinsame Positionen einigen können. Griechenland werde seine Präsidentschaft nicht missbrauchen, um die eigenen Probleme zu lösen, versichert der Professor für Europapolitik. Natürlich werde auch während der Präsidentschaft über eine Regelung der griechischen Schulden diskutiert, doch das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun: "Es wird eine europäische, keine griechische EU-Präsidentschaft", erläutert Ioakeimidis.
Flüchtlinge werden ein Thema
Der Europa-Experte kennt sich mit der Materie aus: Als Berater im Athener Außenministerium und Mitglied griechischer Verhandlungsdelegationen hat Ioakeimidis alle bisherigen EU-Präsidentschaften Athens miterlebt; 2003 agierte er als Europaberater des damaligen Ministerpräsidenten Kostas Simitis. Als besonderen Schwerpunkt der anstehenden griechischen EU-Präsidentschaft nennt er die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Ein Spannungsfeld zwischen nationalen Interessen und gesamteuropäischem Verständnis sei hier nicht zu übersehen.
"In der Vergangenheit haben die griechischen Präsidentschaften an der Dublin-Verordnung mitgearbeitet, obwohl die griechische Regierung mit dieser Regelung nicht einverstanden war, da sie befürchtete, die Länder der europäischen Peripherie würden dadurch die Hauptverantwortung für die Flüchtlinge übernehmen", moniert Ioakeimidis. Er glaube zwar nicht, dass Griechenland eine Änderung des Dublin-Verfahrens auf die offizielle Agenda seiner Präsidentschaft setzt, trotzdem könne man einiges verbessern an der heutigen Regelung: "Zur Tagesordnung gehören etwa eine Verstärkung der Grenzschutzagentur FRONTEX, sowie Beratungen mit der neu eingesetzten EU-Arbeitsgruppe für das Mittelmeer", betont der Europa-Experte.